An die Mitglieder des Parlaments

Bern, Sept./Nov. 2021

Revision des Gentechnikgesetzes

Sehr geehrte Parlamentarier*innen des National- und Ständerats

Gerne machen wir Sie als Verein kritischer Wissenschaftler*innen aus der ganzen Schweiz auf unsere Position bezüglich der aktuellen Revision des Gentechnikgesetzes und dem regulatorischen Umgang mit neuen Verfahren der Genomeditierung mit CRISPR-Cas und ähnlichen Tools aufmerksam:

Die Critical Scientists Switzerland (CSS) begrüssen die Verlängerung des Anbaumoratoriums. Organismen, die mit neuen Gentechnikverfahren produziert wurden, müssen dem geltenden Gentechnikgesetz (GTG) unterstellt werden und entsprechend den dort geltenden Vorgaben (Vorsorgeprinzip, Risikobewertung, Step-by-Step-Verfahren, Kennzeichnung, Monitoring) reguliert werden.

Die schon 10 Jahre alte Technologie der Genomeditierung entwickelt sich zwar auf der Genomebene ständig technisch weiter, hat aber bislang keine nennenswerten Produkte mit Relevanz für die Landwirtschaft oder Umwelt hervorgebracht, die sich in der realen Welt bewährt hätten. Ebenso wie die älteren Gentechnikverfahren birgt auch die Genomeditierung Risiken – vorhersehbare wie noch nicht bekannte bzw. nicht vorhersehbare. Getrieben von der Hoffnung auf eine schnelle Vermarktung der Produkte der neuen Verfahren, werden die Risiken der Genomeditierung von industrienahen Wissenschaftsgruppen verharmlost und negiert. Dabei werden die erforderliche wissenschaftliche Objektivität und Ausgewogenheit vernachlässigt und die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu möglichen Fehlern und den daraus resultierenden Risiken ignoriert. Bei der Risikobeurteilung neuer Produkte gibt es erhebliche Wissenslücken vor allem aufgrund des Mangels an Forschungsinvestitionen in dieses Gebiet. Die wenigen Studien, die sich damit beschäftigen, zeigen klar auf, dass grundlegende Behauptungen, auf denen die Rundum-Sicherheitspostulate der Gentechnik-Kreise beruhen, falsch sind [1-8]. Weder sind die Techniken präzise noch fehlerfrei noch per se sicher. Besonders gleichzeitig ausgeführte, multiple Eingriffe ins Genom erhöhen das Fehlerrisiko auf eine bisher nicht geklärte Weise. Auch das Dual-Use-Potenzial dieser Verfahren und die Möglichkeit Eingriffe in das Genom schwer nachweisbar zu machen und zu vertuschen ist wesentlich höher als dasjenige der älteren Techniken und spricht für eine noch strengere Überwachung.

Die Forderungen nach einer Deregulierung wird mit Versprechungen von potentiellen Produkten, welche die Nahrungsmittelproduktion nachhaltiger machen oder einen Nutzen im Kampf mit den Herausforderungen des Klimawandels erbringen könnten, begründet. Die Erzeugung solcher klimawandelangepassten Pflanzen mittels Genomeditierung ist aber rein hypothetisch, wissenschaftlich nicht belegt und eine Wiederholung derselben Versprechungen, die bereits für die klassischen Gentechnikverfahren seit ihrer Entdeckung vor einem halben Jahrhundert gemacht wurden. Doch auch nach fast 30 Jahren Gentechnikeinsatz im kommerziellen Anbau konnten die damals versprochenen Ziele nicht ansatzweise erreicht werden [9]. 98 % aller Gentechnikpflanzen sind herbizidresistent oder produzieren ein bakterielles Insektengift und haben zu einem Mehrverbrauch von Pestiziden beigetragen und weitverbreiteten Unkraut- und Schädlingsresistenzen. Nun sollen weiterentwickelte Methoden liefern, was die älteren nicht geschafft haben – ohne jede Analyse was die Gründe für deren Versagen war und ob diese nicht auch auf die weiterentwickelten Techniken zutreffen würden .

Alle gentechnischen Verfahren setzen monokausale Gen-Wirkungs-Zusammenhänge voraus, während landwirtschaftlich relevante Pflanzeneigenschaften (z.B. Toleranzen) nicht auf einzelnen DNA-Abschnitten beruhen, sondern aus einem hochkomplexen Zusammenspiel einer Vielzahl von genetischen Funktionen und der Umwelt hervorgehen. Werden das Genom und seine Wirkung in Organismen dekontextualisiert wie das in der Genomeditierung der Fall ist, lassen sich über viele Jahre dauernde natürliche Anpassungsprozesse der Pflanzen im Feld unmöglich nachahmen [10]. Selbst in jenen Regionen, bspw. Nordamerika, in denen die von der landwirtschaftlichen Gentechnik-Industrie favorisierten freizügigen Deregulierungssysteme herrschen, wurde bisher keine Pflanze mit z.B. einer abiotischen Stresstoleranz eingeführt [11]. Zudem häufen sich die Fälle, in denen bereits zur Kommerzialisierung angekündigte Produkte ohne weitere Begründung wieder aus der Vermarktungspipeline verschwinden oder der Zeitpunkt der Markteinführung immer wieder verschoben wird [12]. Nach über 10 Jahren Forschung und hohen Investitionen sind erst vier Produkte auf dem Markt, die mittels neuer Gentechnik entwickelt wurden, darunter ein herbizidresistenter Raps und ein herbizidresistenter und Insektengift-produzierender Mais, aber keines der seit Jahrzehnten versprochenen Produkte mit einem Nutzen für Klima oder Umwelt. Gleichzeitig wird das bestehende dysfunktionale und umweltschädigende Anbausystem aufrechterhalten bzw. kosmetisch kurzfristig „grüner“ gemacht.

Um eine Agrarwende zu verwirklichen, braucht es eine gründliche Fehler-Ursachenanalyse des bestehenden Landwirtschaftssystems – wie dies auch von der Welternährungsorganisation FAO und vom Weltklimarat IPCC empfohlen wird. Um daraus wissensbasierte Systemänderungen abzuleiten und Systemlösungskonzepte zu entwickeln, appellieren wir – die Critical Scientists Switzerland – an Sie, die Regulierung der mit alter und neuer Gentechnik entwickelten Produkte aufrechtzuerhalten und dem Moratorium zu unterstellen. Dadurch werden Konsumierende und die Umwelt geschützt, die Forschung zu den neuen gentechnischen Verfahren aber keineswegs behindert. Diese ist grösstenteils noch immer mit Grundlagenforschung beschäftigt und mit viel Geld aus öffentlichen Töpfen ausgestattet (u.a. mit der Entwicklung von neuen Verfahrensvarianten der Genschere oder dem Nachweis – „proof-of-concept“ –, ob sich bestimmte Eigenschaften überhaupt erzeugen lassen). Zudem ist es dringend erforderlich in von Gentechnikkreisen unabhängige Risikoforschung zu investieren, ohne die es keine wissenschaftsbasierte Diskussion und Entscheidungsprozesse geben kann.

Überdies sind die enormen gesellschaftlichen Investitionen, die in den letzten Jahrzehnten in diese Forschung geflossen sind, ins Verhältnis zu setzen mit den bisherigen Ergebnissen und ihrem marginalen Nutzen für die Gesellschaft. Anstatt gewinnorientierte Marktstrategien der Genomeditierung und -patentierung zu fördern, welche die Marktposition der bereits dominierenden Agrarmultis weiter stärken, aber die soziale Gerechtigkeit vernachlässigen oder gar negieren und durch die Zunahme von Abhängigkeiten die Ernährungssouveränität gefährden, appellieren wir deshalb an Sie als weitsichtige Entscheidungsträgerinnen und -träger, stattdessen nachhaltige, systemorientierte, interdisziplinäre Alternativen für zukunftsfähige Ernährungssysteme zu unterstützen.

Referenzen

  1. Miyazaki J, Bauer-Panskus A, Bøhn T, et al. Insufficient risk assessment of herbicide-tolerant genetically engineered soybeans intended for import into the EU. Environmental Sciences Europe 2019; 31: 92. doi:10.1186/s12302-019-0274-1
  2. Sansbury BM, Hewes AM, Kmiec EB. Understanding the diversity of genetic outcomes from CRISPR-Cas generated homology-directed repair. Communications Biology 2019; 2: 458. doi:10.1038/s42003-019-0705-y
  3. Smits AH, Ziebell F, Joberty G, et al. Biological plasticity rescues target activity in CRISPR knock outs. Nature Methods 2019; 16: 1087–1093. doi:10.1038/s41592-019-0614-5
  4. Bauer-Panskus A, Bohn T, Cotter J, et al. Zusammenfassender Abschlussbericht des Projektes RAGES, 2016-2019. 2020. Im Internet: https://www.testbiotech.org/sites/default/files/Zusammenfassender%20Abschlussbericht%20des%20Projektes%20RAGES.pdf
  5. Bauer-Panskus A, Miyazaki J, Kawall K, et al. Risk assessment of genetically engineered plants that can persist and propagate in the environment. Environmental Sciences Europe 2020; 32: 32. doi:10.1186/s12302-020-00301-0
  6. Kawall K, Cotter J, Then C. Broadening the GMO risk assessment in the EU for genome editing technologies in agriculture. Environmental Sciences Europe 2020; 32: 106. doi:10.1186/s12302-020-00361-2
  7. Skryabin B. V., Kummerfeld D.-L., Gubar L., et al. Pervasive head-to-tail insertions of DNA templates mask desired CRISPR-Cas9–mediated genome editing events. Science Advances 2020; 6: eaax2941. doi:10.1126/sciadv.aax2941
  8. Liu M, Zhang W, Xin C, et al. Global detection of DNA repair outcomes induced by CRISPR-Cas9. bioRxiv 2021: 2021.02.15.431335. doi:10.1101/2021.02.15.431335
  9. Scientific Critique of Leopoldina and EASAC Statements on Genome Edited Plants in the EU. 2021. Im Internet: https://criticalscientists.ch/images/css/Gene_Editing/Greens-EFA-GMO-Study-1.pdf
  10. Mueller NG, Flachs A. Domestication, crop breeding, and genetic modification are fundamentally different processes: implications for seed sovereignty and agrobiodiversity. Agriculture and Human Values 2021. doi:10.1007/s10460-021-10265-3
  11. Kawall K. Mit den neuen Gentechnikverfahren dem Klimawandel trotzen? In: AgrarBündnis e.V., Hrsg. Der kritische Agrarbericht 2021. Konstanz: ABL Verlag; 2021: 300–305. Im Internet: https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2021/KAB_2021_300_305_Kawall.pdf
  12. Gelinsky E. Warten auf die Superpflanzen: CRISPR & Co wecken übertriebene Erwartungen. In: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL e.V.), Hrsg. CRISPR & Co: Neue Gentechnik - Regulierung oder Freifahrtschein. Texte zur aktuellen Diskussion. Hamm; 2021: 10–15. Im Internet: https://abl-ev.de/fileadmin/Dokumente/AbL_ev/Publikationen/AbL_CRISPR___CO_Neue_Gentechnik_-_Regulierung_oder_Freifahrtschein_WEB6_vorab.pdf