Vorsorgeprinzip muss über wirtschafltichen Interessen stehen

Bern, 19. August 2017/ Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit der neuen gentechnischen Verfahren. Darüber hinaus fehlen (Langzeit-) Daten zu deren Risiken. Die Akademie der Naturwissenschaften fordert jedoch, dass neue gentechnische Verfahren in der Pflanzenzucht nicht unter das Gentechnikgesetz fallen sollen. Damit würden das Vorsorgeprinzip sowie die Wahlfreiheit der Konsumenten und Konsumentinnen untergraben. CSS fordert, dass die neuen gentechnischen Verfahren vor einer kommerziellen Anwendung einer strengen Risikoprüfung unterzogen werden, wie sie das Gentechnikgesetz vorsieht.

Im Gegensatz zur „alten“ Gentechnik soll es mit den neuen Verfahren, allen voran CRISPR-Cas9, möglich sein, ganz präzise in das Erbgut von Pflanzen einzugreifen. Die Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) fordert, dass die neuen gentechnischen Verfahren nicht unter das Gentechnikgesetz fallen sollen und spricht sich für deren kommerzielle Nutzung in der Schweizer Landwirtschaft aus. Doch entgegen der Aussagen der SCNAT gibt es heute keinen wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit von neuen gentechnischen Verfahren. „Die Funktionsweise von Genen wird heute immer noch nicht ausreichend verstanden. Auch wenn man mit den neuen Verfahren Gensequenzen präziser schneiden- und wieder zusammenfügen kann, jedoch nicht versteht wie und in was man genau eingreift, kann man nicht ausschliessen, dass damit gewisse Risiken verbunden sind“, meint Eva Gelinsky vom Vorstand der Critical Scientists Switzerland (CSS). So gibt es inzwischen verschiedene Studien, die zeigen, dass die eingesetzten Enzyme immer wieder auch an anderen, nicht vorherbestimmten Stellen im Genom schneiden. „Die (vermeintliche) Präzision der Verfahren wird allzu oft mit deren Sicherheit gleichgesetzt“, fügt Gelinsky hinzu. Doch so einfach ist es nicht.

 „Gene sind keine linearen Konstruktionsanweisungen, keine Baupläne für Organismen“, so die Agrarökologin und CSS-Vorstandsmitglied Angelika Hilbeck von der ETH Zürich. „Sie erfüllen auch nicht nur eine bestimmte Funktion. Gene sind meistens multifunktional. Wenn man, wie es mit den neuen Verfahren möglich ist, z. B. ein einzelnes Gen stilllegt, weil es mit einer Eigenschaft in Verbindung gebracht wird, die man nicht mehr haben will, muss man damit rechnen, dass noch ein paar andere Dinge ab- oder umgeschaltet werden. Es wird also in ein Netzwerk von rückgekoppelten Prozessen eingegriffen, von dem man nur einen Abschnitt kennt“, so Hilbeck weiter. Mit welchen Folgen? Wie werden sich Pflanzen, die im Labor die gewünschte Eigenschaft aufweisen, in der Umwelt verhalten, in der sie mit einer Vielzahl unterschiedlichster Faktoren interagieren und die selbst in einem ständigen Wandel begriffen ist? Wird die Pflanze ihre neue Eigenschaft über Generationen stabil behalten? Andere, nicht erwünschte Effekte könnten – für Mensch, Tier oder Umwelt – schwerwiegendere Folgen haben: So sind u. a. auch eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit der Pflanze, eine Anreicherung von Giftstoffen oder ein Anstieg von Allergenen möglich. Allein aufgrund des kurzen Er- fahrungszeitraums können noch keine Langzeitdaten über Effekte von neuen gentechnischen Pflanzen für Umwelt und Gesundheit vorliegen. Die genannten Punkte machen deutlich, dass das Vorsorgeprinzip zwingend zur Anwendung kommen sollte. Ohne entsprechende Regulierung, so wie es die SCNAT nun fordert, könnten aus den neuen gentechnischen Verfahren resultierenden Produkte ohne Kennzeichnung auf den Schweizer Äckern und in den Regalen landen. Züchter und Züchterinnen, Landwirte sowie Konsumentinnen und Konsumenten wären nicht nur in ihrer Produktion betroffen, sondern hätten auch keine Möglichkeit mehr selbst zu bestimmen, ob sie diese Produkte kaufen möchten oder nicht.

Auch die juristischen Argumente sollten im Fall der neuen gentechnischen Verfahren berücksichtigt werden: Zwei Rechtsgutachten, „Legal Analysis of the applicability of Directive 2001/18/EC on genome editing technologies“ von Prof. Tade Matthias Spranger, das im Auftrag des Deutschen Bundesamts für Naturschutz (BfN) erstellt wurde, und „Legal questions concerning new methods for changing the genetic conditions in plants“ von Prof. Dr. Ludwig Krämer, kommen zum Schluss, dass die neuen Verfahren unter EU Recht als Gentechnik einzustufen sind.

CSS fordert, dass die neuen gentechnischen Verfahren und die daraus resultierenden Pflanzen vor ihrer Kommerzialisierung unter Anwendung des Vorsorgeprinzips ein Zulassungsverfahren zu durchlaufen haben, das auf einer umfassenden und unabhängigen Risikoprüfung basiert.